Johann Staden: "Hauß=Music" (4 Teile)


Theologen und Bürger der Stadt Nürnberg haben sich während der Reformationszeit frühzeitig und eindeutig zur „lutherischen Lehre“ bekannt. Zusammen mit gleichgesinnten Persönlichkeiten aus dem Fürstentum Brandenburg-Ansbach haben sie sogar eine „Kirchenordnung“ erarbeitet und damit prägenden Einfluss auf die Gestaltung des kirchlichen Lebens im Protestantismus genommen. Auch wenn man in der Folgezeit sehr bemüht war, an der „reinen“ lutherischen Lehre festzuhalten, so war doch ab der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts eine neue Generation von Theologen bestrebt, neue Akzente zu setzen im Hinblick auf die alltägliche Frömmigkeit und die religiöse Andacht. Die Anfang des 17. Jahrhunderts erschienenen „Vier Bücher vom wahren Christentum“ des Generalsuperintendenten in Celle Johann Arndt (1555 – 1621), die schnell weite Verbreitung fanden, markierten eine Veränderung im Denken und Fühlen vieler Theologen. Man betonte nunmehr stärker ein persönliches Bestreben, Gott nahezukommen und Christus im gesamten Lebensvollzug nachzufolgen. Dabei griff man auch auf  Vorstellungen des Hl. Bernhard und der mittelalterlichen Mystiker zurück.

 

In Nürnberg fielen die Gedanken Arndts auf fruchtbaren Boden. Die einflussreichsten Prediger setzten sich engagiert für diesen Frömmigkeitsstil ein. In besonderer Weise gilt das für Johannes Saubert (1592 - 1646), der seinerseits mit Gleichgesinnten in anderen Städten in Verbindung stand (z.B. Christoph Schleupner, Matthäus Meyfart und Johannes Valentin Andreae). Ihnen gemeinsam war es ein Anliegen, die Menschen zu einem frommen und gottgefälligen Leben anzuregen, den persönlichen Glauben zu stärken und religiöse Rituale auch in der Familie zu pflegen.

 

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Johann Staden als Organist und Musikdirektor der Stadt Nürnberg im Jahr 1623 (vermutlich auf Veranlassung von Johannes Saubert) eine „Hauß=Music“ veröffentlicht hat. Es sollten „Gesänglein“ sein, die „von einem jeden Haußvatter mit seinen Kindern, so sie nur in der Music ein wenig erfahren, leichtlich gesungen“ werden können. Die Nachfrage war offenbar groß, dass Staden sich gedrängt fühlte, im Jahr 1628 weitere drei Teile zu komponieren, die in der Folgezeit z.T. mehrfach aufgelegt wurden.

 

Der 1. Teil der „Hausmusik“ ist 1623 erschienen und wurde 1634 und 1646 erneut aufgelegt. Das Werk besteht aus 17 bewusst einfach gehaltenen geistlichen Liedern und einer „HaußLitaney“ für vier Singstimmen (Cantus / Altus / Tenor / Bass). In einem Anhang sind noch drei kunstvollere, z.T. mehrstrophig polyphon vertonte Choralmotetten angefügt, die sich deutlich von den schlichten Gesängen des Hauptteils absetzen.

 

Der 2. Teil enthält 27 weitere bewusst einfach gehaltene geistliche Gesänge und stellt praktisch eine Fortsetzung des 1. Teils dar. Die Liedtexte sind vom gleichen Frömmigkeitsstile geprägt. Einige Dichter sind mit Namensmonogrammen aufgeführt und teilweise identifizierbar (z.B. Johann Saubert, Cornelius Becker), ein Großteil der Liederdichter war jedoch nicht zu identifizieren.

 

Der 3. Teil umfasst 31 geistliche Gesänge, die im Gegensatz zu den andern Teilen der „Hausmusik“ durchgängig dreistimmig komponiert sind. Staden hat sie „fürnemblich auff  Discantisten gerichtet“, d.h. dass die beiden Oberstimmen („Suprema vox“ und „Media vox“) in erster Linie für zwei Sopranstimmen gedacht sind, während die Unterstimme („Infima vox“) zunächst als Altstimme konzipiert ist. Staden weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass auch eine Besetzung mit Männerstimmen möglich ist. Um die klanglichen Möglichkeiten zu erweitern, wurde durchgängig jedem der dreistimmigen Sätze eine Begleitung (ad lib.) für ein Tasteninstrument hinzugefügt. Sie greift lediglich die Harmonien des dreistimmigen Satzes auf, steigert eventuell den Klangeindruck und ermöglicht es, die einzelnen Gesänge auch von nur zwei Singstimmen mit Klavier/-Orgelbegleitung auszuführen. Auch der dritte Teil enthält einfache Lieder zu den Tageszeiten sowie zu den Festen des Kirchenjahres. Es sind jedoch auch durchaus anspruchsvolle und umfangreichere Psalmvertonungen enthalten, die als dreistimmige Psalmmotetten mehr sind als „schlichte Gesänglein“.

 

Der 4. Teil der „Hausmusik“ enthält wie der 1. und 2. wieder überwiegend einfache Liedsätze zu vier Stimmen auf Texte von Christoph Reich, Johann Mühlmann, Paul Eber, Valentin Andreae u.a. und sollen ebenfalls der häuslichen Andacht dienen.

Zwei Sätze weisen aber deutlich darüber hinaus (Nr. 29 und 30). Sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Kompositionstechnik können sie als vierstimmige Motetten angesehen werden. Auffallend ist, dass ein großer Teil

der Gesänge um die Themen „Leid“, „Tod“ und „ewiges Leben“ kreisen. Auch die 10 Kanons im „Appendix oder Zugab“ ordnen sich thematisch entsprechend ein.

 

Anhang: Ach bleib bei uns“

Es muss für Johann Staden niederschmetternd gewesen sein, in den Pestjahren des Dreißigjährigen Krieges mehrere  Familienmitglieder hinsterben sehen zu müssen. Sein ältester Sohn Johann (1606 - 1627) starb bereits im Alter von nur 21 Jahren an der Pest. Wie zwei seiner Brüder war er „expectierender“ Stadtmusiker in Nürnberg, der zu vielen Hoffnungen Anlass gab. In schmerzlicher Erinnerung an seinen verstorbenen Sohn hat der Vater der 2. Auflage des 1. Teils seiner Hausmusik (1634) dessen Motette „Ach bleib bei uns“ angefügt. Als achtstimmige doppelchörige Komposition sprengt sie hinsichtlich der Besetzung den Rahmen seiner „Hausmusik" (siehe oben).  Die Edition dieses gut singbaren und vielfältig verwendbaren Werkes als Einzelausgabe lag nahe.